Der Vorwurf: Mehrere tausend G36-Sturmgewehre sollen in mexikanische Bundesstaaten geliefert worden sein, für die es keine Exportgenehmigung gab. Der Prozess begann am 15. Mai in Stuttgart. Rüstungsexperte Jan van Aken beobachtet den Prozess für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Am 15. Mai 2018 begann vor dem Landgericht Stuttgart der Prozess gegen sechs frühere Manager von Heckler & Koch. Der Vorwurf: Mehrere tausend G36-Sturmgewehre sollen auch in mexikanische Bundesstaaten geliefert worden sein, für die es keine deutsche Exportgenehmigung gab. Das wäre ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz.
Das Brisante an diesem Prozess: Über einen Whistleblower sind viele interne Dokumente aus dem Genehmigungsverfahren öffentlich geworden. Danach haben die damaligen Genehmigungsbehörden Heckler & Koch aktiv beim Zustandekommen des Deals unterstützt. Allerdings wurden die Ermittlungen gegen die beteiligten Beamten eingestellt. Vor Gericht stehen jetzt vier frühere Vertriebsmitarbeiter*innen sowie zwei ehemalige Geschäftsführer von Heckler & Koch, darunter der ehemalige Präsident des Landgerichts Rottweil.
Insgesamt hat Heckler & Koch von 2006 bis 2009 über 10.000 Sturmgewehre nach Mexiko geliefert. Dagegen legte das Auswärtige Amt noch bis zum Herbst 2005 ein Veto ein, da in vielen Teilen Mexikos Polizeiangehörige an massiven Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind. Oft arbeiten Sicherheitskräfte dort eng mit der Drogenmafia zusammen.
Nach der Bundestagswahl 2005 kam es dann – unter dem neuen Außenminister Steinmeier – zu einer Kehrtwende. Mit kosmetischen Korrekturen wurde der Deal plötzlich genehmigungsfähig. Dazu gehörte ein Passus, nach dem die vier mexikanischen Bundesstaaten Chiapas, Chihuahua, Guerrero und Jalisco nicht beliefert werden dürften. Es gab Sonderregelungen für diesen Deal, die laut internen Dokumenten aus dem Bundesausfuhramt als «Lex Heckler & Koch» bezeichnet wurden.
Bereits vor acht Jahren, im April 2010, hatte der Waffenexportgegner Jürgen Grässlin in dieser Angelegenheit Strafanzeige gestellt, nachdem ihm von einem Whistleblower aus dem Unternehmen viele interne Dokumente zugespielt worden waren, aus denen hervorging, dass auch in die «verbotenen» Provinzen Sturmgewehre geliefert worden waren. Es hat dann fünf Jahre bis zur Anklageerhebung und weitere drei Jahre bis zum Prozessbeginn gedauert.
Bereits 2013 gab es in dieser Angelegenheit einen ersten Prozess, vor dem Arbeitsgericht Freiburg. Dort hatten zwei ehemalige Heckler & Koch-Mitarbeiter gegen ihre fristlose Kündigung geklagt, mit Erfolg. Schon in diesem Verfahren kamen das undurchsichtige Verhalten der Genehmigungsbehörden und ihre praktische Beihilfe an diesem Deal zur Sprache.
Zusammen mit dem freien Journalisten Andreas Ellinger wird der frühere Bundestagsabgeordnete Jan van Aken alle relevanten Details der Verhandlungstage protokollieren, analysieren, bewerten, in einem Kurztext zusammenfassen und auf dieser Seite veröffentlichen.
1. Prozesstag: «Gewerbs- und bandenmäßige Verbrechen»
Wegen des «Verbrechens eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz» sind sechs ehemalige Mitarbeiter*innen von Heckler und Koch angeklagt. Die Strategie der Verteidigung: Schuld sind wahlweise die Behörden, die Mexikaner oder ein Toter. Ein Bericht vom ersten Prozesstag am 15. Mai 2018.
Der erste Prozesstag begann mit einer Mahnwache vor dem Stuttgarter Landgericht. Hier wurde der Opfer der deutschen Kleinwaffenexporte gedacht: Bilder der 43 verschwundenen Studenten aus Ayatzinopa im mexikanischen Bundesstaat Guerrero bildeten die eindrucksvolle Kulisse. Auch dort in Guerrero sind sehr wahrscheinlich Sturmgewehre vom Typ G36 bei der Tötung von Student*innen eingesetzt worden – geliefert von Heckler & Koch (HK). Der Freiburger Friedensaktivist Jürgen Grässlin und sein Anwalt Holger Rothbauer, die das Verfahren vor acht Jahren mit einer Strafanzeige ins Rollen gebracht haben, hielten Ansprachen. Um 9:30 Uhr dann begann das Verfahren. Der Presseandrang war groß, im Sitzungssaal fanden sich zum Prozessbeginn ca. 30 Journalist*innen und 40 Besucher*innen ein.
Abtrennung des Verfahren gegen Markus B.
Der Handelsvertreter von HK in Mexiko, Markus B., war nicht zum Termin erschienen. Sein Anwalt erklärte, dass B. nicht reisefähig sei und aus medizinischen Gründen nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen könne. Interessant: Ihm war vom Gericht freies Geleit gewährt worden, trotzdem erschien er nicht. Daraufhin stellt die Staatsanwaltschaft mehrere Anträge. So solle das freie Geleit widerrufen und die Reisefähigkeit von B. unabhängig überprüft werden. Falls sich ergeben sollte, dass er reisefähig sei, müsse ein internationaler Haftbefehl ausgestellt werden. Außerdem solle das Verfahren gegen B. abgetrennt werden, da andernfalls der gesamte Prozess nicht stattfinden könne. Zum letzteren Antrag entschied das Gericht sofort: Das Verfahren gegen B. wird abgetrennt, es geht mit dem Prozess gegen die anderen fünf Angeklagten weiter.
Die Anklage
Zunächst erklärte der Vorsitzende Richter Maurer, dass es so lange von der Anklageerhebung bis zur Prozesseröffnung gedauert hatte, weil die Kammer mit anderen Strafsachen befasst war. Er stellte fest, dass alle anderen Spekulationen, warum die Eröffnung des Verfahrens so lange gedauert hat, jeder Grundlage entbehren würde – was im Saal ein leises Gelächter auslöste, denn schon lange steht der Vorwurf im Raum, dass es nur deshalb acht Jahre von der Strafanzeige bis zum Verfahren gedauert hat, weil einer der Angeklagten, Peter B., früher Präsident des Landgerichtes Rottweil war und die Justiz in Baden-Württemberg eine schützende Hand über ihn hält.
Es wurde dann die aktualisierte Anklage vom 24. April 2018 verlesen – aktualisiert, weil seit der Anklageerhebung im Jahre 2016 eine Tat verjährt ist. Es geht um insgesamt 16 «Taten», die 16 Einzellieferungen von Gewehren und/oder Ersatzteilen nach Mexiko in den Jahren 2006 – 2009 betrafen. Für vier der Angeklagten lauten die Vorwürfe:
- Verbrechen eines gewerbs- und bandenmäßigen Verstoßes gegen das AWG (Außenwirtschaftsgesetz)
- Verbrechen des vorsätzlichen Verstoßes gegen das KWKG (Kriegswaffenkontrollgesetz) in besonders schweren Fällen.
Eröffnungsreden der Verteidiger und Angeklagten
Danach hatten alle Verteidiger und Angeklagten die Gelegenheit zu einem ersten Statement. Dabei kristallisierte sich schon klar die Strategie der Verteidigung heraus, wobei allerdings interessante Unterschiede festzustellen waren.
Drei der Angeklagten, Peter B., Joachim S. und Ingo S., waren früher im Management von HK tätig. Sie und ihre Anwälte machten gleich klar, wie ihre Verteidigungsstrategie aussehen wird:
- Es habe nie eine Liste verbotener Bundesstaaten in Mexiko gegeben. Von den Genehmigungsbehörden hieß es lediglich, dass die Lieferung in bestimmte Bundesstaaten «Probleme bereiten» würde, oder dass es «genehmigungsrechtlich bedenkliche Staaten» geben würde, aber eben keine Verbotsliste.
- In allen Anträgen auf eine Exportgenehmigung nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) habe es immer nur geheißen, dass eine Genehmigung für die «Beförderung Mexiko», ohne weitere Einschränkung, beantragt werde. Auch die Genehmigungen lauteten nur auf einen Export nach Mexiko. Die Beschränkung auf einzelne Bundesstaaten befänden sich nur in den Endverbleibserklärungen. Diese seien allerdings nach Ansicht der Verteidigung nicht Bestandteil der Genehmigung. Damit habe HK auch nie gegen eine KWKG-Genehmigung verstoßen, da der Export nach Mexiko ja genehmigt war. Der Anwalt von Peter B. verstieg sich zu der Formulierung, es sei eine «juristische Infamie», «die Endverbleibserklärungen in die Genehmigungen hineinzuzaubern».
- Schuld haben immer die Anderen. So seien die Endverbleibserklärungen von den Mexikanern erstellt worden, HK habe sie nur an die Behörden weitergereicht. Außerdem habe HK jegliche Verfügungsgewalt über die Waffen verloren, nachdem sie einmal in Mexiko angekommen waren. Die weitere Verteilung der Waffen vor Ort liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich. Außerdem wurde immer wieder Herr H. beschuldigt, ein früherer HK-Mitarbeiter, der ursprünglich auch angeklagt war, mittlerweile aber verstorben ist.
Peter B. führte zudem noch an, dass seine Tätigkeit bei HK in zwei verschiedene Phasen unterteilt werden müsse: Als Behördenbeauftragter (1.1.2006 – 24.7.2007) war er zuständig für die Kontakte zu Behörden für die Erteilung von KWKG-Genehmigungen. Er habe nur eine «untergeordnete Stellung» ohne Weisungsbefugnis gehabt. Ab dem 25.7.2007 wurde er Geschäftsführer und Ausfuhrverantwortlicher.
Anders als bei diesen drei Angeklagten beruht die Verteidigung von Wolfram M. vor allem darauf, dass ihm als einzigen Angeklagten im Verfahren nur Fahrlässigkeit vorgeworfen wird. Sein Anwalt führte aus, dass die absolute Verjährungsfrist für seine Vorwürfe zehn Jahre betrage, deshalb beträfen ihn die ersten zehn Fälle schon gar nicht mehr, der elfte Fall wird noch im September verjähren. Diese Hauptverhandlung gegen M. würde gar nicht stattfinden, wenn er hier allein sitzen würde.
Völlig unverständlich ist die Anklage gegen Marianne B. Sie war als einfache Sachbearbeiterin bei HK tätig und verwies in ihrem Statement darauf, dass sie keinerlei Entscheidungskompetenz hatte und schlicht Aufträge ausführte, von denen sie nicht wusste, dass sie möglicherweise Rechtsverstöße darstellten. Sie habe nie etwas manipuliert und wisse überhaupt nicht, warum sie hier sitze.
Nach der ersten Statement-Runde sagte der Vorsitzende Richter Maurer, dieser Fall sei ungewöhnlich, weil die Rechts- und Sachlage sehr komplex ist. Die Gretchenfrage laute: Was ist Inhalt der Genehmigung? Aus meiner Sicht wird dies der entscheidende Punkt sein, denn die Bundesregierung besteht auf dem Standpunkt, dass die Endverbleibserklärungen auch Inhalt der Genehmigungen sind.
Heckler & Koch ist als GmbH nicht angeklagt, aber so genannte «Nebenbeteiligte», der Firma könnte eine Geldstrafe drohen. Sie ist durch zwei Anwält*innen im Prozess vertreten. Sie beschränkten sich darauf zu bemerken, dass HK seitdem die Verbesserung des Compliance-Systems veranlasst und aus eigenem Anlass eine Untersuchung durch KPMG in Auftrag gegeben habe. Der 700seitige Bericht liege der Staatsanwaltschaft vor. Wörtlich: «HK hat aus dem Vorgang gelernt». Stellt sich die Frage, warum all diese Aktivitäten, wenn HK vorher nichts falsch gemacht hat.
Interessant auch die Äußerung des Angeklagten Peter B., der meinte, angesichts der Bedenken in der Bundesregierung hätte doch die eigentliche Konsequenz sein müssen, eine generelle Ablehnung von Exporten nach Mexiko zu entscheiden. Er habe den Eindruck gewonnen, dass man die generelle Verweigerung aus politischen Gründen vermeiden wollte.
Peter B. machte auch deutlich, dass die Kontakte zu den Behörden fast ausschließlich mündlich stattfanden, es gäbe praktische keine schriftlichen Vorgänge, ganz selten vielleicht einmal eine E-Mail. Er sei als Behördenverantwortlicher ca. zwei Mal monatlich für zwei Tage nach Berlin gereist, um im persönlichen Gespräch alles zu klären.
Fotos: Contando Estrela/flickr, Andreas Ellinger