Fernando Lugo:

“Ich habe ein Recht auf die Kandidatur”

Paraguays linker Expräsident über die umstrittene Verfassungsreform und das Ziel der Oligarchien

Interview: Gerhard Dilger, neues deutschland

Herr Lugo, die ParlamentarierInnen der Linkspartei Frente Guasú (Breite Front) haben sich mit Teilen der rechten Colorados um Präsident Horacio Cartes zusammengetan, um über ein Referendum die Verfassung zu ändern und die Wiederwahl potenziell für Cartes und ihre Kandidatur als ehemaliger Präsident zu ermöglichen. Das führte Ende März zu massiven Protesten, bei denen ein Mensch getötet und rund 100 weitere Menschen verletzt worden waren. Eine Mehrheit der Abgeordnetenkammer hat diesen Vorstoß des Senats am 26. April mit einem abschlägigen Votum zunichte gemacht. Die Frente Guasú ist aus den Ereignissen der vergangenen Wochen geschwächt hervorgegangen. War das der richtige Weg?

Persönlich bin ich davon überzeugt, dass ich uneingeschränkt das Recht habe, Präsidentschaftskandidat zu sein, denn ich bin aktiver Senator und habe meine Amtszeit wegen des parlamentarischen Staatsstreichs im Juni 2012 nicht beendet. Außerdem verwehrt der Artikel 229 der Verfassung nur dem gerade amtierenden Präsidenten die Kandidatur, nicht aber den Expräsidenten wie mir. Also brauche ich auch keinen Verfassungszusatz. Die Frente Guasú ist derselben Auffassung und war schon 2011 für einen Verfassungszusatz für eine einmalige Wiederwahl, um meine Kandidatur zu garantieren, weil diese sicher angefochten wird (der Wortlaut der Verfassung wird unterschiedlich interpretiert, d. Red.). Wer seine Position geändert hat, ist die Colorado-Partei.

lugo2008slider

Von 1994 bis 2005 war der 65-Jährige Bischof der römisch-katholischen Diözese San Pedro im verarmten Zentrum Paraguays. 2008 (oben ein Foto aus dem Wahlkampf) wurde er zum ersten linken Präsidenten des Landes gewählt, im Juni 2012 verlor er durch einen kalten Putsch das Amt. Seit 2013 ist er Senator des Linksbündnisses Frente Guasú

Dennoch steht vor allem die Frente Guasú in der Kritik. Trifft Sie das persönlich?
Die Angriffe, die wir von Seiten der großen Medien, von der reaktionärsten Oligarchie und von den neoliberalsten Parteiführungen erhalten haben, die dagegen sind, dass das Volk direkt über so eine zentrale Frage wie die Wiederwahl entscheiden soll, haben uns natürlich zugesetzt, aber früher oder später kommt die Wahrheit immer heraus. Wir sind die politische Organisation, die die politischen Prinzipien und eine friedliche Linie hochgehalten hat. Jene hingegen, die zur Gewalt geschritten sind, sowohl aus der neoliberalen Opposition gegen Cartes heraus wie auch seine Regierung selbst, die die Demonstration mit übermäßiger Härte niedergeschlagen hat, können vorübergehend erfolgreich sein.

Nur vorübergehend?
Die Leute überlegen, und sobald die Wirkung der Medienpropaganda nachlässt, kommen sie zu ihren eigenen Schlussfolgerungen. Davon werden sicher wir profitieren, die wir nicht nur für Frieden und Demokratie eintreten, sondern diese Werte selbst in den schwierigsten Momenten unserer jüngsten Geschichte praktiziert haben. Es lohnt sich immer, auf der Seite der Wahrheit, friedlicher Methoden, der partizipativen Demokratie und des Volkswillens zu sein, auch wenn bisweilen die großen Interessen des Medienoligopols unserer Popularität zusetzen, wie es jetzt in der Tat vielleicht der Fall ist.

Horacio Cartes hat nun angekündigt, er werde 2018 nicht mehr antreten. Welche Chancen hat angesichts der starken Position der Rechten eine Kandidatur Lugo?
Die Frente Guasú hat sich auf ihrem jüngsten Kongress für meine Kandidatur ausgesprochen, auch andere demokratische Kräfte wollen sich anschließen. Es stimmt, das Panorama erscheint heute verdüstert angesichts der Gewalt der extremeren Rechten, es scheint für ein wirkliches Projekt des Wandels nicht genug Platz zu geben – nicht einmal ein linkes, sondern von demokratischer und nationaler Entwicklung. Zuerst muss die Gewalt aus der politischen Praxis verbannt werden. Die Meinung der Leute wird sich bald herausbilden, denn die BürgerInnen sehnen sich danach, in Frieden und Demokratie zu leben, sie wollen, dass sich das Gesundheitswesen und die öffentliche Bildung verbessern, würdige Arbeit für alle.

Was, wenn der Oberste Gerichtshof Ihre Kandidatur verbietet?
Wenn er mir das Recht auf die Kandidatur verwehrt, werde ich das natürlich akzeptieren. Allerdings haben wir die Interamerikanische Menschenrechtskommission eingeschaltet, die einen vorsorglichen Erlass herausgeben könnte, die Paraguay befolgen müsste – so sieht das die Amerikanische Menschenrechtskonvention vor, die von uns ratifiziert wurde. Sollte das jedoch nicht rechtzeitig passieren, werden wir weitersehen … In Brasilien und Argentinien gibt es übrigens ganz ähnliche Versuche, erneute Kandidaturen populärer Führungsfiguren wie Lula oder Cristina Kirchner mit allen Mitteln zu verhindern. Die Methoden sind verschieden, doch das Ziel der Oligarchien ist dasselbe: zu verhindern, dass volksnahe Politiker sauber Wahlen gewinnen können.

Was ist Ihre Hauptkritik an der Dominanz des Agrobusiness in Paraguay?
Paraguay strebt eine nachhaltige, unabhängige Entwicklung für alle an. Multis wie Bayer oder Monsanto treiben genau das Gegenteil voran: soziale Ausgrenzung, Umweltzerstörung, Abhängigkeit. Wir haben das Klima, die Böden und das Wissen, um genügend gesunde Lebensmittel für unsere gesamte Bevölkerung und viele Millionen mehr produzieren zu können. Stattdessen stellen wir Futtermittel und Rohstoffe zur Produktion von zweifelhaften Agrotreibstoffen her. Von diesem System profitiert nur ein winziger Teil der Bevölkerung, dabei müsste es zugunsten der ganzen Menschheit geändert werden.

Wie will die Frente Guasú dieses ausgrenzende System verändern?
Wir müssen mit einer bewussteren Bevölkerung unser Transformationsprojekt erweitern und festigen. Wir schlagen Partizipation und soziale Inklusion vor. Der Wandel geschieht von unten nach oben, und falls wir 2018 an die Regierung kommen, müssen wir immer auf das Volk hören, bei allen kleinen und großen Regierungsentscheidungen, um die paraguayische Gesellschaft gerechter und solidarischer zu machen.

als pdf

Foto: Gerhard Dilger