„Bioökonomie“ – Brasiliens Agrobusiness macht auf öko

„Agro é tech, é pop, é tudo“, verkündet eine Kampagne des Agrobusiness in Brasilien, „Agro ist Technologie, ist Pop, Agro ist alles“
17/04/2018
por
Thomas Fatheuer

 „Agro é tech, é pop, é tudo“ verkündet eine Kampagne des Agrobusiness in Brasilien.  „Agro ist Technologie, ist Pop, Agro ist alles“. Zu unserer Bioökonomie-Veranstaltung auf dem Weltsozialforum in Salvador

Von Thomas Fatheuer

jogo-banco-imobiliario-sustentavel-

Diese Kampagne ist natürlich einerseits pure Propaganda, anderseits aber auch ein Ausdruck sich ändernder Zeiten. Denn tatsächlich ist ist das heutige Agrarbusiness nicht mehr mit wenig produktiven Latifundien der Vergangenheit gleichzusetzen. Es befindet sich im Prozess einer enormen Modernisierung und Technisierung, aber auch einer Neuordnung von Paradigmen: Agrobusiness als Teil einer postulierten Bioökonomie.  Das nicht klar definierte Konzept der Bioökonomie stellt Landwirtschaft und Landnutzung in einen neuen Kontext, es wird ein neues Narrativ geschaffen.

Zentraler Bezugspunkt sind sind dabei Klimastrategien. Dekarbonisierung der Wirtschaft ist ein zentrales Aktionsfeld der Bioökonomie. In Zeiten des Klimawandels ist der Ersetzung fossiler Ressourcen durch nachwachsende Rohstoffe eine zentrale Strategie.

„Die Bioökonomie wird als epochale Herausforderung propagiert. Die durch den Klimawandel bedingten Zwänge führen zu einer Aktualisierung des Entwicklungsnarrativs: Es wird eine politische Agenda operationalisiert, die den bioökonomischen Ansatz als Teil eines breiteren politischen Arrangements begreift, zu dem das grüne Wachstum, die Kreislaufwirtschaft, eine kohlenstoffarme, klimafreundliche Entwicklung so wie die globale Nachhaltigkeitsagenda gehören. In diesem Kontext ist der Übergang zu einer Bioökonomie ein stimmiges Narrativ mit einem ‘zukunftsweisenden’ Effekt, das eine Vision darstellt für die Zukunft von Produktion, Arbeit und der Beziehung zwischen Gesellschaft und Natur. Während das globale Produktions- und Konsumtionssystem signifikant neu ausgerichtet wird, wird Biomasse zu einer strategischen Ressource für die entstehende wissensbasierte Ökonomie und zur Basis für weiteres Wirtschaftswachstum,“ schreibt Camila Moreno in „Lateinamerika: Bioökonomie-Region der Zukunft?“.

Die penetrante „Wir-sind-so-modern“-Kampagne des brasilianischen Agrobusiness hat also einen ernstzunehmenden Kontext: Landnutzungsstrategien werden  global neu definiert. Brasilien mit seinem enormen Flächen, die für landwirtschaftliche Produktion geeignet sind, ist zu einem wichtigen globalen Player für alle bioökonomischen Perspektiven geworden. Bioöknomie bedeutet auch die Ausweitung von Landnutzung.

Neue Dynamik der Landnahme

Der forcierte Zugriff auf  Land ist einer der wichtigsten globalen Konflikte – und die Bioökonomie steht mitten darin. Denn die steigende globale  Nachfrage gießt nun nicht mehr Öl ins Feuer, sondern immer mehr Biomasse in den Hochofen der globalen Wirtschaft. Dies ist insbesondere in der nach wie vor enormen weltweiten Zerstörung von Regenwald sichtbar. Diese Zerstörung ist mit der Ausweitung von landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen verbunden.

In zwei Regionen ist dies besonders deutlich und Gegenstand globaler Debatten geworden. In Südostasien  und insbesondere in Indonesien und Malaysia ist die Ausweitung des Anbaus von Ölpalmen der wichtigste Treiber von Entwaldung. Im Amazonasgebiet ist die Ausweitung der Anbauflächen für Soja besonders signifikant: In Brasilien hat sie sich zwischen 2001 und 2016 auf mehr als 30 Millionen Hektar verdoppelt. Die Expansion des Sojaanbaus vollzieht sich nun zunehmend in der Amazonasregion, entweder als direkte Umwandlung von Regenwald in Sojafelder oder häufiger über den Umweg der Entwaldung für die Anlage von Viehweiden, die dann Jahre für den Sojaanbau umgewidmet werden.

Sowohl Soja wie Ölpalmen sind sogenannte „flex crops“, also Pflanzen, die vielfältiger Nutzung dienen. Palmöl findet sich sowohl in unzähligen Lebensmitteln wie im Tank europäischer Autofahrer. Und Soja dient keineswegs nur als Tierfutter und vegetarische Kost, sondern auch zur Erzeugung von Biodiesel. Oft geht es also nicht um Flächenkonkurrenz, sondern um eine komplexere Gemengelage: gerade die Kombination der drei Fs –  „feed, food, fuel“ – macht den Anbau von Soja, Zuckerrohr und Ölpalmen besonders lukrativ.

Brasilien mit seinen großen Landflächen und dem mächtigen Agrobusiness ist also der ideale Kandidat für eine Neuformulierung des Entwicklungsmodells unter der Perspektive „Bioökonomie“. Tatsächlich spielt jetzt schon Landnutzung eine zentrale Rolle für die Wirtschaft des Landes.

Brasilien – vorwärts zum Agrarland?

2017 war der Agrarsektor für 23,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) verantwortlich. Dies ist für ein Land mit einem entwickelten Industrie- und Dienstleistungssektor ein extrem hoher Wert. Aber auch für die jüngste Geschichte Brasiliens ist dieser Wert bemerkenswert. Denn bis 2014 sank der Anteil des Agrobusiness am BIP kontinuierlich – eine typische Entwicklung für sich industrialisierende Länder.

2014 betrug der Anteil des Agrobusiness am BIP 16,9 Prozent. Der Anstieg ab 2014 ist also keineswegs einfach eine Erfolgsgeschichte. Er reflektiert auch die Krise der brasilianischen Wirtschaft ab 2014. Diese Entwicklung wird auch unter der Überschrift „Reprimarisierung“ der brasilianischen Wirtschaft als Problem und nicht als Erfolgsstory diskutiert. Aber die Zahlen zeigen auch, dass der brasilianische Agrarsektor von der allgemeinen Wirtschaftskrise des Landes kaum betroffen war und er einen wichtigen Beitrag dazu leistet, dass sich die wirtschaftlichen Kennzahlen nicht noch deutlicher verschlechterten.

Schaut man auf die Exportzahlen, dann wird das Bild noch drastischer. 2017 stiegen die brasilianischen Agrarexporte um 13% gegenüber 2016. Mit einem Volumen von 96 Milliarden US$ war der Agrarsektor für 44,1 Prozent der gesamten brasilianischen Exporte zuständig. Der Löwenanteil von fast 60 Milliarden US$ entfällt dabei auf drei Sektoren: Soja, Fleisch und Zucker (einschließlich Ethanol). Überraschend ist dabei vielleicht, dass der Export von Hühnerfleisch den Export von Rindfleisch überflügelte. Dies gilt als Begleiterscheinung des Sojabooms – Geflügel wird auch als „Soja mit Flügeln“ bezeichnet. Auf den Plätzen vier und fünf landen Holzprodukte (dies ist in erster Linie Cellulose) und Kaffee.

Die positive Bilanz des Agrobusiness wird noch durch einen weiteren Faktor verstärkt: Den enormen Ausfuhren stehen geringe Einfuhren gegenüber. 81,6 Milliarden US-$ ist der beeindruckende Wert des Außenhandelsüberschusses des Agrarsektors, der fast den Rekordwert des Jahres 2013 (82,9 Milliarden) erreichte.

Es sind diese Zahlen, mit denen das brasilianische Agrarbusiness auf nationalen und internationalen Foren hausieren geht. Und tatsächlich belegen sie das ungeheure Gewicht, das der Agrarsektor im brasilianischen Entwicklungsmodell einnimmt. Aber die besondere Pointe ist, dass dieses Gewicht  in den letzten Jahren zugenommen hat. Das (angebliche) Erfolgsmodell Agrobusiness tritt immer mehr ins Zentrum der  brasilianischen Entwicklungsperspektiven.

Die Festigung der Macht des Agrobusiness in Brasilien ist geht mit einem Anstieg der Landkonzentration einher. Nur 0,95 Prozent der Landbesitzer*innen kontrollieren 45 Prozent des Landes, stellte 2016 ein Bericht von Oxfam Brasilien fest. Allerdings gibt es verlässliche Zahlen nur aufgrund des Agrarzensus von 2006. Oxfam geht aber davon aus, sich die Landkonzentration bis 2010 noch weiter verschärft hat. Denn im Zeitraum von 2001 bis 2010 ist die Zahl der großen Betriebe mit über 1.000 Hektar angestiegen, die der kleinen (Minifundios) aber hat sich verringert.

Während sich Siegfried Hofreiter mit 20.000 ha (bis zu seiner Pleite im Jahre 2016) als größter Bauer Europas bezeichnen konnte, gelten in Brasilien ganz andere Größen als normal. Mit 135.000 ha ist die Fazenda Nova Piratininga im Bundestaat Goiás die größte Einzelfarm Brasiliens. Typisch ist aber die Akkumulation von Land durch mehrere Fazendas. So besitzt die Unternehmensgruppe des aktuellen Landwirtschaftsministers, Blairo Maggi, allein im Bundesstaat Mato Grosso 200.000 ha,  auf 19 Fazendas verteilt.

Der größte Sojaproduzent Brasiliens ist aber inzwischen der nicht so berühmte Vetter des Ministers: Erai Maggi Scheffer und seine Gruppe „Bom Futuro“ soll mehr als 300.000 ha mit Soja bewirtschaften (zum Vergleich: in ganz Hessen werden 292.000 ha zur Getreidegewinnung bepflanzt).

Aber die entscheidende Macht des brasilianischen Agrobusiness liegt nicht in seiner puren Größe, sondern in der Perspektive der Expansion. Wieder sind die Zahlen beeindruckend. Mit seinen 33 Millionen Hektar Land, die mit Soja bepflanzt sind, ist Brasilien weltweit die Nr. 1, allerdings ist die Produktion in den USA noch etwas höher. Die Expansion der Sojawirtschaft in Brasilien dabei dürfte einer der dynamischsten Prozesse in der Änderung von Landnutzung weltweit sein.

Denn im Jahre 2000 waren es noch 14 Millionen Hektar Land, die in Brasilien mit Soja bepflanzt waren. Und das ist die Besonderheit Brasiliens: Während in den meisten entwickelten Volkswirtschaften die Agrarfläche nicht wächst, erlebt Brasilien einen neuen land rush durch das Agrarbusiness. Dieses sieht sich nicht nur als Garant der ökonomischen Entwicklung Brasiliens, sondern als Vektor für die Zukunft.

Damit steht das Agrobusiness aber auch im Brennpunkt der sozio-ökologischen Konflikte in Brasiliens. Denn seine Expansion vollzieht sich vorwiegend in zwei Ökosystem (Regenwald und Cerrado) und in zwei Regionen: Amazonien und Matopiba.  Aus der Sicht des Agrobusiness werden marginale Territorien mit geringer landwirtschaftlicher Produktivität „entwickelt“ oder gar erst „in Wert gesetzt“. Nun eignet sich hier das Agrobusiness keine leeren Landschaften an, sondere artenreiche Ökosysteme, in der in der Regel auch Menschen wohnen, die in einer produktivistischen Sicht der Welt kaum wahrgenommen werden: Kleinbäuer*innen und die Vielzahl verschiedenster Gruppen, die nun als „traditionelle Völker“ bezeichnet und wahrgenommen werden. Das Problem für das Agrobusiness ist nun, dass auch in der brasilianischen Gesellschaft nicht alle die Ausweitung riesiger Monokulturen mit enormen Einsatz von Pestiziden und durch Gensaat dominiert als Fortschritt ansehen. Artenreiche Ökosysteme haben inzwischen auch eine (nationale und internationale) Lobby. Und wichtiger noch: traditionelle Völker haben Rechte.

Vor diesem Hintergrund sind neue Narrative für das Agrobusiness fundamental:  In keinem Land der Welt stehe so viel Land für die Ausweitung einer modernen, hochproduktiven landwirtschaftlichen Produktion zur Verfügung wie in Brasilien, so lautet das Mantra. Brasilien könne daher nicht nur eine Beitrag zu Ernährung der Weltbevölkerung leisten,  auch der Klimawandel will und kann bekämpft werden. Und  da bietet sich das Agrobusiness an. Es produziert schließlich auch die Stoffe, die für den proklamierten Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter zentral sind: Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen und Bioplastik. Zucker und Soja sind auch Basis für Ethanol (als Benzinersatz) und Biodiesel. Aus der Landwirtschaft wird eine komplexe Bioökonomie. Agro  tudo – das soll auch heißen: „we feed and cool the world“.

Die Macht des Agrobusiness in Brasilien ist nicht neu – aber sie beruht nun auf einer enormen ökonomischen Basis und einer Modernisierung, die die Erträge pro Hektar im Sojaanbau in Brasilien denen der USA angeglichen hat. Dieses ökonomische Fundament verbindet sich nun mit neuen Narrativen, die das Agrobusiness als den großen Verbündeten für die zentralen Aufgaben der Menschheit anpreisen will – und gleichzeitig ist der totalitäre Anspruch des Agrobusiness („agro é tudo“) eine Kriegserklärung an alle, die etwas anders wollen.

„I’m green“ ist in diesen Zeiten nicht ein Ausruf grüner Politiker, sondern die registrierte Marke des brasilianischen Chemiegiganten Braskem – es muss also heißen: I’m green.

Braskem ist einer der größten Hersteller von Polyethylenen, also von Plastik. Sein deutscher Standort Schkopau ist noch aus DDR Zeiten durch den Slogan „Plaste und Elaste aus Schkopau“ berühmt. Aber die meisten Produktionsstätten liegen in Brasilien, dem „Heimatland“ des Konzerns. Die 90 Prozent der stimmberechtigten Aktien gehören dem Baukonzern Odebrecht und dem halb staatlichen Erdölkonzern Petrobras, die staatliche Entwicklungsbank BNDES ist ebenfalls beteiligt.

Braskem hat sich zum globalen Führer bei der Herstellung von sogenannten Bioplastik entwickelt, und beherrscht den Markt mit seiner Produktlinie I’m green Polyethylene. Tatsächlich kann bisher nur eine Teil des Plastiks durch biobasierte Stoffe ersetzt werden, die angeblich nun grünen Kunststofflaschen erreichen maximal einen Anteil von 30% biobasierten Stoffen, in der Praxis leigt der Anteil bei 15%. Coca Cola ist bisher die bekannteste Verwender von „Bioplasitk“, so etwa bei Vio Bio, ein  biozertifizierten Produktlinie von Coca Cola Limonaden.

Der Rohstoff für das Bioplastik von Braskem ist Zuckerrohr, dem also nicht nur in der Erzeugung von Biotreibstoffen ein große Rolle zukommt. Bioplastik reproduziert also auch die alten Probleme: Öl wird durch die Ausweitung von Landnutzung ersetzt. Der Propaganda von Braskem oder Coca Cola zufolge ist dies kein Problem: Ohne jeglichen Beleg wird behauptet, die Expansion von Zuckerrohr vollziehe sich in Brasilien in erster Linie auf  „verlassenem Weideland“, und Coca Cola verkündet gar, zusätzlicher Zuckerrohranbau  finde vorwiegend auf „ungenutzten Agrar-Flächen“ statt.  Bioplastik hat dieselben Eigenschaften wie Plastik auf Erdölbasis, untrerscheidlich ist die Herkunft. Und damit eben auch die CO2-Bilanz: Bioplastik ist laut Braskem CO2 neutral oder gar CO2 negativ, durch den Anbau der Pflanzen soll also der Atmosphäre mehr CO2 entzogen werden als im Produktionsprozess entsteht.

„Technologie, Innovation und Nachhaltigkeit“ – das sind in der Propaganda Braskems die Leitlinien der Firma. In der Praxis scheinen aber auch Geld und Korruption eine große Rolle zu spielen. Die Hauptaktionäre der Firma, Odebrecht und Petrobras, sind auch auch die wichtigsten Firmen in dem Korruptionsskandal, der Brasilien nun seit einigen Jahre erschüttert. Braskem war offensichtlich auch zur Zahlung von Schwarzgeldern da. Die Firma willigte 2016 in einen Vergleich ein, der sie zur Zahlung von unglaublichen 3,1 Milliarden Reais , das entspricht etwa einer Milliarde US$, verpflichtete. Braskem zeigt eine aufschlussreiche Verknüpfung von alter, ölbasierter Industrie, Korruption und biobasierter Innovation als Erweiterung des Geschäftsmodells.