Deshalb muss mehr getan werden als nur die vorzeitige Öffnung von Akten und Unterlagen oder das Aussprechen einer Entschuldigung, die Finanzierung einer Psychologin, Krankenschwester oder sogenannter technischer Hilfe
Mit dem Rechtsausschuss des Bundestages auf den Spuren eines deutschen Verbrechens in Chile
Von Harald Petzold*
„Für alle Verschwundenen, Ermordeten und Gefolterten der Militärdiktatur!“ Mit Tränen in den Augen, aber fester Stimme wirft Myrna Troncoso eine rote Nelke in ein mit Wasser gefülltes Erdloch. Nur unsere Blumen deuten derzeit darauf hin, dass sich hier, im Feldbereich Chenco, eine fosa, ein Massengrab befindet, in dem der chilenische Pinochet-Geheimdienst DINA zwischen 1974 und 1977 gemeinsam mit Helfershelfern der deutschen Colonia Dignidad einen Teil seiner Folter- und Mordopfer verschwinden ließ.
Myrna, die kleine tapfere Frau, kämpft seit Jahren gemeinsam mit weiteren Angehörigen von Opfern der Pinochet-Diktatur für einen würdigen Ort des Gedenkens. Und gegen die Colonia Dignidad, die für sie – aufgrund ihrer inzwischen von niemandem mehr bestrittenen Komplizenschaft mit den Putschisten – kein Recht auf einen Wandel von einer Folterhölle in ein Touristenparadies Villa Baviera hat, als bayerisches Folklore-Idyll und Oktoberfest-Kopie. Wobei nicht die heute in der Colonia lebenden Menschen ihre Gegner_innen sind, sondern deren bisher starre Weigerung, anzuerkennen, was dieser Ort war und ist.
Diese scheint allerdings langsam aufzuweichen. Nicht nur, dass Anna Schnellenkamp, die heutige Sprecherin der „Villa Baviera“, an dem kleinen Gedenken teilnimmt. Uns Delegations-Mitgliedern des Bundestags-Rechtsausschusses und eigenen Mitbewohner_innen gegenüber findet sie an diesem Tag Worte über die Schande des Ortes und der Taten der Führungsgeneration, zu der auch ihr Vater gehört, spricht ein ehemaliger colono vor anderen über Folter, deren Zeuge er wurde, wird eine erste Ausstellung über Menschenrechtsverletzungen in der Colonia präsentiert.
Für mich ist klar: Dabei darf nicht stehengeblieben werden. Ebenso wenig bei den ersten zaghaften Versuchen der Bundesregierung, deutsche Mitverantwortung anzuerkennen und beim Namen zu nennen. Deshalb muss mehr getan werden als nur die vorzeitige Öffnung von Akten und Unterlagen oder das Aussprechen einer Entschuldigung, die Finanzierung einer Psychologin, Krankenschwester oder sogenannter technischer Hilfe. Das kann nur ein Anfang sein und darf auf keinen Fall dazu führen, dass Täter ungeschoren davonkommen, Verantwortlichkeiten unter den Teppich gekehrt werden oder Opfer am Ende das Gefühl vermittelt bekommen, ein zweites Mal geopfert zu werden.