Weniger Geld, Teilnehmende und mediales Interesse: Ist die weltweite linke Vernetzung ein Auslaufmodell?
Von Niklas Franzen, neues deutschland
Sonne, Palmen, Kokoswasser: Das Weltsozialforum (WSF) endete für viele Teilnehmer*innen mit einem Tag am Strand. Fünf Tage hatten Globalisierungskritiker und Antikapitalisten in Salvador da Bahia über Alternativen zum Neoliberalismus diskutiert. Hunderte Veranstaltungen, Workshops und Demonstrationen fanden in der tropischen Hitze der Küstenmetropole statt.
Mauri Cruz ist glücklich über den Ausgang der letzten Tage. »Wir haben viele Hürden übersprungen«, sagt der Aktivist dem »nd«. Monatelange hatte er an den Vorbereitungen des WSF mitgewirkt, bei ihm liefen viele Fäden zusammen. »Viele wichtige Fragen wurden diskutiert und Debatten angeregt – jetzt kommt es darauf an, daran anzuknüpfen und sie weiterzuführen.«
Das WSF stand unter keinen guten Vorzeichen. Das Budget war so gering wie nie zuvor. »Es war im Prinzip ein Weltsozialforum ohne Geld«, meint Cruz. Im Jahr 2005 steuerte die Regierung der Arbeiterpartei PT gut 10 Millionen Euro bei. »In diesem Jahr haben wir keinen Cent von der Regierung bekommen.« An vielen Stellen wirkte die Organisation chaotisch: Ein wirkliches Programm gab es nicht, oft musste improvisiert werden. Die regelmäßigen Stromausfälle gehörten da noch zu den kleineren Problemen.
Und warum gerade Salvador? »Es war extrem wichtig, dass das Weltsozialforum hier stattgefunden hat«, sagt der prominente afrobrasilianische Aktivist Gilberto Leal, der an allen vergangenen Weltsozialforen teilnahm. »Die Stadt ist historisch gesehen der wichtigste Ort des schwarzen Widerstands in Brasilien.« Afrobrasilianische Organisationen drückten dem WSF ihren Stempel auf – politisch und kulturell. Aber auch indigene Gruppen, Klimaschützer*innen, Feminist*innen und Gewerkschafter*innen waren auf dem linken Megagipfel präsent. Vor allem weibliche und junge Gesichter sah man auf dem Campus der staatlichen Universität von Bahia, wo ein Großteil der mehr als 1000 Veranstaltungen stattfand.
Der heimliche Höhepunkt sollte die »Versammlung zur Verteidigung der Demokratie« werden, zu der mehrere ehemalige Staatschefs aus ganz Lateinamerika angekündigt wurden. Das Event fand im Fußballstadion statt, das nur spärlich gefüllt werden konnte. Stadionatmosphäre kam erst auf, als Brasiliens Ex-Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva die Bühne betrat und wie gewohnt eine flammende Rede hielt. Gerade im armen Nordosten hat der charismatische, ehemalige Gewerkschaftsführer immer noch viele Anhänger*innen. Eine davon ist Malvina Joana de Lima. »Lula hat mein Leben verändert«, sagt die Mittsechzigerin mit buntem Turban auf dem Kopf und Lula-Porträt in der Hand. »Durch seine Regierung habe ich die Möglichkeit erhalten, eine Ausbildung zu machen. Vorher habe ich mich nicht als Bürgerin gefühlt.« Die Veranstaltung war jedoch vor allem eins: Wahlkampf für die schwer angeschlagene Arbeiterpartei PT. Lula erklärte, dass er niemals aufhören werde zu kämpfen. Jüngst wurde er in zweiter Instanz wegen passiver Korruption und Geldwäsche verurteilt. Damit kann Lula voraussichtlich nicht bei den Wahlen im Oktober antreten. Ein Desaster für die Linke, die keine realistische Alternative aufbieten kann.
Von den angekündigten Politikern kam schließlich nur der honduranische Ex-Präsident Manuel Zelaya, der 2009 nach einem juristisch fragwürdigen Verfassungskonflikt vom Militär gestürzt worden war. Der Abend wirkte eher wie ein schlecht besuchtes Konzert veralteter Rockgrößen.
Überschattet wurde das WSF von dem brutalen Mord an der schwarzen, linken Politikerin und Menschenrechtsaktivistin Marielle Franco in Rio de Janeiro. Die 38-Jährige galt in ihrer Heimatstadt als eine der lautesten Stimmen gegen Polizeigewalt und Rassismus. Alles deutet darauf hin, dass die Polizei oder das Militär für den Mord verantwortlich ist. Zeitweise wurde das WSF gestoppt, Hunderte Teilnehmer*innen zogen in einer Spontandemonstration über den Campus der Universität. Ihre Forderung: »Gerechtigkeit für Marielle«.
Mit rund 20 000 Anmeldungen kamen weniger Teilnehmer*innen als erhofft. Auch das mediale Interesse war gering. Wurden die Gipfel in dessen Geburtsstadt Porto Alegre von der Weltpresse begleitet, war das WSF in Salvador vielen Zeitungen nur eine Randspalte wert. Zudem machten sich nur wenige ausländische Aktivist*innen auf den Weg in den brasilianischen Nordosten. Und auch viele soziale Bewegungen aus Brasilien blieben fern. Ist das Modell einer mehrtägigen, weltweiten Vernetzung linker Kräfte ausgelaufen? Darüber herrscht Uneinigkeit. Hinter vorgehaltener Hand vermuten WSF-Veteranen, dass es der letzte linke Gipfel gewesen sein könnte. Cruz sieht das anders: »In diesen schwierigen Zeiten gab es viele Probleme. Das diesjährige Weltsozialforum hat aber die Notwendigkeit gezeigt, ein Treffen dieser Art abzuhalten.« Das nächste WSF solle wieder zeitgleich mit dem Davoser Weltwirtschaftsforum stattfinden. »Wir brauchen diesen Gegenpunkt.«
»Eine andere Welt ist möglich« – in Zeiten einer globalen Krise der Linken war es auf dem diesjährigen WSF schwierig diese optimistische Losung der Anfangsjahre mit Hoffnung zu füllen. Jedoch hat sich auch in Salvador gezeigt, dass es gerade auf lokaler Ebene Alternativen gibt – und der Widerstand gegen den neoliberalen Kapitalismus lebt.
Foto: Verena Glass