Ach ja, die Klimagipfel sind unsere letzte Chance. Genau. Nur gibt’s da ein kleines Problem: wir wissen jetzt schon ziemlich genau, dass der Klimagipfel in Paris weder ausreichend Geld für Klimaanpassung auf den Tisch legen wird; noch ausreichende Emissionsreduktionen; noch durchsetzungsstarke Politikmechanismen designen wird.
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Mobilisieren für Paris
28/04/2015
por
Tadzio Müller
Neues aus der Klimabewegung

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Von Tadzio Müller* 

Als vor einigen Tagen im Berliner Haus der Kulturen der Welt Albrecht von Lucke (von den Blättern für Deutsche und Internationale Politik) einen Vortrag von Naomi Klein zu Ihrem exzellenten neuen Buch Die Entscheidung: Klima vs. Kapitalismus anmoderierte, kam er trotz des sonst sehr gut getroffenen Tons um eine Zote nicht herum: In Paris stünde dieses Jahr im Dezember der wichtigste klimapolitische Moment des Jahrzehnts an, beschwor er uns.

Wie die meisten Leser*innen hier sicherlich schon wissen, bezog er sich damit auf den sog. COP21 Klimagipfel, der – ähnlich der Art und Weise, wie das vor 6 Jahren mit dem Klimagipfel in Kopenhagen geschah – mit zunehmend intensiver Rhetorik als so ziemlich die letzte Chance dargestellt wird, die Welt und das Klima und überhaupt alles Wahre, Schöne und Gute zu retten.

Ja, schön wär’s: Die Emissionen steigen, und wer vor einigen Tagen gelesen hat, dass sie das nicht mehr tun – z.b. hier und hier – dem sei versichert, dass das mal wieder viel heiße Luft ist: es geht dort ausschließlich um Emissionen aus dem Energiesektor, Landwirtschaft wird also nicht mitgerechnet; ein Jahr macht noch keine Trendumkehr; und weder die Emissionszahlen der US-Regierung (Stichwort methane leakage beim Fracking) noch der chinesischen Regierung (die sich zunehmend sozial-ökologischem Mobilisierungsdruck ausgesetzt sieht) sind wirklich glaubhaft.

Aber ich schweife ab, worum ging’s? Ach ja, die Klimagipfel sind unsere letzte Chance. Genau. Nur gibt’s da ein kleines Problem: wir wissen jetzt schon ziemlich genau, dass der Klimagipfel in Paris weder ausreichend Geld für Klimaanpassung auf den Tisch legen wird; noch ausreichende Emissionsreduktionen; noch durchsetzungsstarke Politikmechanismen designen wird.

Und warum reden wir über dieses Thema im WSF-Blog? Weil gestern, einen Tag vor dem offiziellen Beginn des WSF am heutigen Dienstag (24.3.), ein zweitägiges, von der französischen Coalition Climat 21 – dem Zusammenhang, der zivilgesellschaftliche Mobilisierungen zum Gipfel hin organisiert, und vom linken Flügel attacs bis hin zu sehr moderaten NGOS aus dem Climate Action Network ein sehr breites Spektrum an politischen Positionen vereint – organisiertes Treffen der globalen Klima(gerechtigkeits)bewegungkader stattfand, um dort Pläne für die Gipfelmobilisierungen zu schmieden.

Nach allerlei Vorgeplänkel ging es dann am Nachmittag endlich in die Arbeitsgruppen, und als großer Fan des Geschichtenerzählens ging ich in die Arbeitsgruppe zum ‘overarching narrative’, also der Erzählung, die alles zusammenhält. Jenseits meines persönlichen Interesses am Erzählen spannender politischer Geschichten hatte diese Wahl auch noch einen weiteren Grund:

Seit dem ersten Treffen der Coalition in Paris im vergangenen August treibt mich schon die Sorge um, dass es eigentlich fast unmöglich ist, in diesem Jahr eine Geschichte zu erzählen, ein Narrativ zu entwickeln, dass Leute nach Paris mobilisiert (denn: wir wollen natürlich auch große und kraftvolle Demos und Aktionen in Paris, jenseits der zunehmend dynamischen Anti-Kohle-Mobilisierungen hierzulande – z.B. hier), ohne dabei die reale Bedeutung des Gipfels maßlos zu überbewerten.

Vor einigen Jahren, bei der Mobilisierung zum Klimagipfel in Kopenhagen 2009 (der COP15), gab es schon einmal die Erzählung, dies sei die letzte Chance zur Rettung der Welt. Damals saßen auch wir Bewegungen dieser Erzählung auf, entwickelten unsere eigenen Varianten davon – entweder affirmativ, wie bei Greenpeace (im Nachhinein schon fast lustig hilflos: ‘Act Now!’), oder kritisch, wie bei den Klimagerechtigkeitsleuten (im Nachhinein fast schon tragisch größenwahnsinnig: ‘Der Gipfel wird die Klimakrise nicht lösen, lasst es uns selbst tun!’) – obwohl letztere sich zumindest ins Zeugnis schreiben können, dass es ihnen eher um den Kopenhagen-‘Moment’, als um den Gipfel selbst ging.

Mit diesen verschiedenen Erzählungen also mobilisierten wir jeweils Tausende nach Kopenhagen, zu Demos und Aktionen und Diskussionen – und am Ende geschah nix. Garnix. Kein Deal, keine neue  Klimagerechtigkeitsbewegung, die die globalen Verhältnisse zum Tanzen bringt… Und die Tausenden Menschen? Viele von ihnen verfielen danach in das, was viele von uns heute die ‘Post-Kopenhagen-Depression’ nennen: die beinahe logische Reaktion auf eine Situation, in dem ein Moment mit schon fast unmöglicher Wichtigkeit aufgeladen wird, und dann komplett scheitert. Denn: wenn wir Recht hatten, hätte dann nicht die Welt untergehen müssen?

Viele von uns zogen daraus den Schluss: nie wieder Kopenhagen, nie wieder eine so absurde Überbetonung eines Moments, und schon gar nicht eines Klimagipfels. Und jetzt, wie sieht’s in der Paris-Mobilisierung aus? Ich befürchte, dass wir irgendwie sehenden Auges in die selbe Gefahr stolpern. Wir – die Coalition – hat sich auf Massenmobilisierungen nach Paris geeinigt. Aber für eine gute Mobilisierung braucht’s eine gute Geschichte, es muss den Leuten, die auf der Straße sein sollen, ja klar sein, warum im Dezember nach Paris zu fahren irgendetwas bringt. Ganz schematisch gesprochen, würde ich vorschlagen: ein mobilisierendes Narrativ besteht aus drei Elementen:

  1. Identifikation eines Problems und/oder Bedürfnisses;
  2. Vorschlag einer Praxis (z. B. Streik, oder eben eine Gipfeldemo, oder ziviler Ungehorsam);
  3. Ein Argument, wie die vorgeschlagene Praxis dazu beiträge, das Problem zu lösen, oder das Bedürfnis zu befriedigen.

Und darin liegt das Problem: Um viele Menschen davon zu überzeugen, nach Paris zu fahren, müssen wir deren Probleme und Bedürfnisse (in diesem Fall wollen wohl die meisten, die potenziell dorthin fahren, katastrophalen Klimawandel abwenden) mit dem Ort in Verbindung setzen, an dem sie protestieren werden. Das würde wiederum bedeuten, dass es fast unausweichlich ist, zu sagen, dass beim Gipfel doch eventuell ein guter Deal möglich ist. Dies würde wiederum zu Frustrationen führen, wenn es keinen guten Deal gibt, und vielleicht zu einer Wiederholung der Postkopenhagendepression, die der Klimabewegung lange in den Knochen steckte.

Doch am zweiten Tag geschah etwas, dass es in der Geschichte dieses Bündnisses (es existiert seit August 2014) bisher nur einmal gegeben hatte: Es wurde eine wirkliche Entscheidung getroffen – und dann auch noch eine gute!

Zurück zum Anfang: Vergangenes Jahr im August traf sich in Paris eine unübliche Breite progressiver klimapolitischer Akteure – vom Avaaz und dem Climate Action Network hin zu linksradikalen und ungehorsamen AktivistInnen – um die Planungen für die COP21 zu beginnen. Und seitdem ich (ca. 2008) Teil der Klimabewegung bin, ist das immer wieder der Shibboleth, die Gretchenfrage: Wie hältst du’s mit den Klimagipfeln?

Auf der einen Seite diejenigen, die auf deren Alternativlosigkeit beharren (globales Problem, globale Lösung, keine Trittbrettfahrer…), auf der anderen die eher aus der Globalisierungsbewegung stammenden GipfelkritikerInnen, die auf die bisherige Nutzlosigkeit der Gipfel verweisen (seitdem Beginn der Verhandlungen sind globale Treibhausgasemissionen um 60% angestiegen, etc…). Das macht das gemeinsame Organisieren von Protesten und Aktionen ziemlich schwierig: während die einen durch intensives Lobbying und Druck auf der Straße die Verhandlungen zu besseren, oder zumindest weniger schlechten Ergebnissen bugsieren wollen, streben die anderen nur danach, ein Zeichen gegen die Gipfel, gegen deren klimapolitische Nutzlosigkeit und  finanzkapitalistische Überformung zu setzen.

Das erste Treffen in Paris schien jedoch darauf hinzudeuten, dass diese Gräben kleiner werden, da, ganz deutlich formuliert, die Positionen der ‘Radikalen’ immer mehr mainstreamtauglich wurden: Mittlerweile muss mensch nicht mehr blauäugig, sondern geradezu blind sein, um einen guten Deal zu erwarten (und das, was 2009 noch die schärfste Waffe der Radikalen war, der ‘Walk-Out’ der NGOs aus den Verhandlungen, war er 2013 die Waffe des NGO-Mainstreams).

Da diese Einsicht sich immer weiter verbreitet hatte, einigten wir uns im August darauf, die zentrale Gipfeldemo nicht wie üblich in der Mitte des zweiwöchigen Gipfels zu organisieren – traditionell wird dort kommentiert, was bisher verhandelt wurde, und versucht, die Regierenden für die letzte Woche des Gipfels unter Druck zu setzen – sondern am Ende, genauer, nach Abschluss des Gipfels, um so ‘das letzte Wort’ zu haben.

Jedoch: Als die Hauptamtlichen von Avaaz, dem internationalen Gewerkschaftsbund und anderen Organisationen, deren Geschäft es nun mal ist, Regierende zu beeinflussen, mit diesem Beschluss nach Hause kamen, muss ihnen jemand ordentlich den Marsch geblasen haben – denn, ein Marsch am Ende ist ein klares Signal, dass es die Bewegungen sind, die den Klimaschutz vorantreiben müssen, dass wir von Regierungen nicht viel erwarten.

Mit guten wie mit schlechten Argumenten (‘we can’t let governments off the hook’ – wie wahr; ‘there might yet be a deal, Ban Ki-Moon is putting all his weight behind one’ – wie irrelevant) wurde nun von der Avaaz-Gewerkschaftskoalition versucht, die eine Abmachung zum ‘letzten Wort’ zu kippen, was u. U. zu einem bewegungspolitischen Desaster hätte führen können: Die großen, finanzstarken Organisationen holen ihre Leute zu einer appellativen Kuscheldemo zum ersten Wochenende, 28.-29.11., nach Paris – nach dem Motto, liebe world leaders, könntet ihr jetzt bitte, aber jetzt wirklich bitte, das Klima retten? – während die Radikalen und Ungehorsamen am letzten Wochenende (12.-13.12) relativ allein in Paris herumeiern, leichte Beute für die Repression werden, und politisch isoliert dastehen? Denn die radikaleren Zusammenhänge würden sich nie auf eine appellative Demo zu Beginn des Gipfels einlassen, dafür hatten wir inhaltlich in den Debatten bisher zu oft recht.

Und schließlich gab’s, wie Asad Rehman von Friends of the Earth International das in ironischem Bezug auf Neville Chamberlain darstellte, einen Deal, der ‘Peace in Our Time’ garantiert. Die großen Organisationen mobilisieren am ersten Wochenende zu Demos in den jeweiligen Hauptstädten, und können dort ihre Forderungen artikulieren, während es am Ende des Gipfels in Paris eine große, gemeinsame Mobilisierung nach Paris gibt, in der sowohl Märsche und Demos als auch Aktionen des zivilen Ungehorsams Platz haben werden.

Also, schreibt’s Euch schon mal in die Kalender: 28. oder 29.11., große Klimademo in Berlin (und anderen Hauptstädten); 12. und/oder 13.12., große Klimaaktion in Paris.

Ach ja, das Problem, von dem ich anfangs sprach, das Problem mit der mobilisierenden Erzählung, das ist leider immer noch nicht gelöst worden. Es wird interessanterweise für die großen Organisationstanker durch diesen Deal fast noch ein bisschen verschärft: Wer kann gleichzeitig für eine appellative Demo am Anfang des Gipfels mobilisieren, und außerdem zu einer Strafaktion zum Ende des Gipfels? Letzteres nimmt ja das Ergebnis des Gipfels vorweg, während die Mobilisierung zu Anfang nicht funktioniert, wenn man nicht auch ein bisschen verschweigt, was schon alle, auch in den großen Verbänden wissen: Es wird weder genug Geld noch genug Emissionsreduktion auf dem Tisch liegen.

Aber immerhin: Peace in our time, innit?

 *veröffentlicht auf dem Blog RLS auf dem WSF, März 2015

Update: Tadzio Müller im taz-Interview

Foto von Kris Krüg via Flickr.