»Diese Wirtschaft tötet.« Aufgrund von Aussagen wie dieser wurde Papst Franziskus seit seinem Amtsantritt im Jahr 2013 von vielen Seiten als Kapitalismuskritiker ins Visier genommen. In linken Kreisen stieß insbesondere seine Umweltenzyklika »Laudato si« auf großes Interesse. Innerhalb der katholischen Kirche scheiden sich die Geister an diesem Papst, und in der Linken stellen sich manche die Frage, ob er und seine Aussagen am Ende tatsächlich »revolutionäres Potenzial« besitzen. Darüber unterhielt sich ak mit Michael Ramminger* vom Münsteraner Institut für Theologie und Politik.
Interview: Sarah Lempp, ak – analyse & kritik
Antikapitalistisch, ökologisch und den sozialen Bewegungen verbunden – so sehen viele den Papst. Gegner bezeichnen ihn gar als »kommunistisch«. Was ist dran an diesem Bild?
Michael Ramminger: Naja, wenn ein Antikapitalist jemand ist, dessen Gesellschaftsanalyse auf der marxschen Werttheorie beruht und ein Kommunist jemand, der in der Partei organisiert ist … dann ist Franziskus beides natürlich nicht. Aber viele in der Linken dann auch nicht. Vor allem in seinem Lehrschreiben »Evangelii Gaudium« bedient sich Franziskus aber einer Götzenkritik, die der Fetischkritik von Marx sehr nahe ist. Und das ist ein durchgängiges Motiv bei ihm: »Die Wirtschaft wird nur vom Bestreben in Gang gehalten, immer mehr zu haben. Und paradoxerweise betreibt man eine Kultur des Ausschlusses«, hat er 2014 gesagt.
Seine Götzen- oder Fetischanalyse kritisiert die zunehmende Religiosität des neoliberalen Kapitalismus und fordert, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse, nicht Gott oder die katholische Kirche. Das ist schon ziemlich nahe dran an Marx und seiner Forderung, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes und verächtliches Wesen ist. Auf dem letzten Treffen mit den sozialen Bewegungen in Bolivien hat er vom Profit als »Mist des Teufels« gesprochen, der die (Um-)Welt zugrunde gehen lässt. Auf diesem Gebiet wird er übrigens von Leuten beraten, die wenig mit der katholischen Kirche zu tun haben. Ich glaube, dass er es sehr ernst meint, wenn er die Katholikinnen und Katholiken auffordert, sich in diesem Sinne einzumischen.
Was meinst du mit Religiosität des Kapitalismus? Ich kann eher nicht sehen, dass der Kapitalismus sonderlich religiös wäre.
Doch, der Kapitalismus hat durchaus religiösen Charakter, er ist geradezu Religion. Das wäre jetzt der Punkt, um über Religion und Religionskritik zu sprechen. Nur zwei Hinweise: Marx spricht in seiner Dissertation von der Philosophie, die ihren Spruch gegen »alle irdischen Götter« zu setzen hätte, und er redet vom Fetischcharakter der Warenform.
Ein Fetisch ist ein Ding, dem man magische Kräfte zuschreibt: Die indirekten gesellschaftlichen Verhältnisse als Eigenschaften der produzierten Sachen wären also durchaus Gegenstand der Religionskritik.Der Philosoph Walter Benjamin beschreibt es so: Im Kapitalismus ist eine Religion zu erblicken, das heißt der Kapitalismus dient essenziell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen und Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antworten gaben.
Wenn der Papst – als oberster Vertreter einer in vielerlei Hinsicht erzkonservativen Institution – in manchen Fragen progressiv erscheint, liegt das doch vielleicht nur am starken Kontrast zum Rest der katholischen Kirche?
Nein. Das glaube ich nicht. Seine Positionen im Blick auf den Zustand der Welt – und den der katholischen Kirche – sind schon sehr fortschrittlich. Das zeigt sich in seinem Lehrschreiben »Evangelii Gaudium«, seiner sogenannten Öko-Enzyklika »Laudato sí«, seinen Reden vor den sozialen Bewegungen und vielen Interviews. Natürlich ist die Institution zum großen Teil reaktionär. Aber wir müssen hier sauber unterscheiden. Ich meine mit Institution zunächst einmal den Vatikan. Da ist Franziskus relativ isoliert und steht unter hohem Druck.
Die deutschen Bischöfe wiederum sind im Blick auf die Gesamtkirche eher bürgerlich, zum Teil auch liberal einzuschätzen, so wie auch der bundesdeutsche Katholizismus. Teile des afrikanischen und asiatischen Episkopats wiederum sind extrem konservativ. Anderseits gab und gibt es nicht nur in Lateinamerika die Tradition der Befreiungstheologie, also Menschen und Bewegungen, ohne die die Linke dort gar nicht zu denken ist. Ich glaube, die katholische Kirche an der Basis ist insgesamt heute nicht rechter oder linker als die Gesamtgesellschaft – oder zumindest von den gleichen Klassenwidersprüchen durchzogen.
Wie sehen Franziskus’ Positionen zu Themen wie Abtreibung, Frauen im Priesteramt oder der Ehe für alle aus?
Dazu sagt er wenig. Das ist bedauerlich, aber auch nachvollziehbar. Bei diesen Themen handelt es sich nämlich um den ideologischen Kern der reaktionären Beharrungskräfte im Vatikan, denen Franziskus kaum etwas entgegenzusetzen hat. Als Strategie erkennbar ist, dass er die Entscheidungen dazu aus der Kompetenz zum Beispiel der Glaubenskongregation unter dem rechten Kardinal Müller an die nationalen Kirchen und Bischofskonferenzen zurückdelegiert. So hat er es mit der Frage der Geschiedenen und ihrer Teilhabe an der Eucharistiefeier gemacht. Er verfolgt sozusagen eine Strategie der Dezentralisierung und schleichenden Entmachtung der vatikanischen Bürokratie- und Theologenkaste und setzt auf die Selbstverantwortung der Katholiken.
Im Sommer dieses Jahres war der Papst auf Lateinamerikareise und wurde dort vor allem von Linken wie ein Popstar gefeiert. Erfolgt unter Franziskus eine stärkere Hinwendung zu befreiungstheologischen Ansätzen?
Wurde er wie ein Popstar gefeiert? Viele meiner Freunde in Lateinamerika sind nach 30 Jahren Johannes Paul II. und Ratzinger eher skeptisch und zurückhaltend. Das gilt übrigens auch für Deutschland. Es ist eher eine abwartende Haltung: Ist das alles ernst gemeint, hält er durch? Und wenn er gefeiert wird, kann man nicht davon ausgehen, dass das alles befreiungstheologisch inspirierte Kräfte sind. Die religiöse Situation in Lateinamerika hat sich völlig verändert, die katholische Kirche ist in der Defensive und neue Formen von Religiosität sind auf dem Vormarsch, die sich christlicher Traditionen nur noch wie aus einem Steinbruch bedienen und ihre Geschäfte damit machen.
Bei Franziskus gibt es tatsächlich eine Rehabilitation der Befreiungstheologie. Bis jetzt hat er sich zum Beispiel mit drei ihrer wichtigen Vertreter getroffen: mit Gustavo Gutiérrez, der als Gründungsfigur gilt, mit dem Brasilianer Leonardo Boff, der wegen seiner scharfen Kirchenkritik vom Vatikan sanktioniert wurde, und mit dem salvadorianischen Jesuiten Jon Sobrino, der sich mit der Glaubenskongregation unter Ratzinger angelegt hatte.
Außerdem hat er den Priester und ehemaligen Außenminister von Nicaragua, Miguel D’Escoto, rehabilitiert, den Johannes Paul II. aufgrund seiner politischen Tätigkeit für die Sandinisten suspendiert hatte. Und bereits vor seiner Wahl zum Papst hat er auf der lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Aparecida 2007 eine wichtige Rolle bei der Redaktion des Abschlusspapieres im Blick auf die befreiungstheologischen Basisgemeinden gespielt.
Wie sollten sich linke Christen deiner Meinung nach auf Papst Franziskus beziehen? Und welche Anknüpfungspunkte siehst du für atheistische Linke?
Ich glaube nicht, dass diese Frage nur an linke Christen zu richten ist, sondern an alle. Natürlich freuen wir uns, wenn sich jetzt ein Teil der Institution in unsere Richtung bewegt, und wenn das Wesentliche christlicher Existenz, die messianische Hoffnung auf ein Leben in Gleichheit und Gerechtigkeit, auch in der Kirche wieder eine Rolle spielt.
Das Unglaubliche ist ja, dass eine über weite Strecken so verkommene Institution wie die katholische Kirche jetzt über einen Rücksprung vor die konstantinische Wende, also vor die Entstehung des Staatskirchentums, nachdenkt: Nach fast 2.000 Jahren gibt es immer noch diese Fähigkeit zur produktiven Ungleichzeitigkeit, um mit Bloch und der politischen Theologie zu sprechen. Aber die messianische Hoffnung leben wir linke Christen ja immer schon an den verschiedensten Orten in der Welt: in linken Parteien, Bewegungen, Organisierungen.
Interessant für uns alle ist doch, dass sich plötzlich eine Stimme zu Wort meldet, die in diesem unverkennbar realen religiösen Feld – und das sage ich gegen eine billige aufklärerische Religionskritik, die im besten Falle als bürgerlich bezeichnet werden kann – eine Position der Humanität und der Wahrheit einnimmt. Oder besser, die die Position all derer (egal welcher Religion) spiegelt, die noch nicht der neoliberal-kapitalistischen Verblödung verfallen sind. Ob das eine Bedeutung für die Zukunft der Welt hat, hängt natürlich davon ab, ob man – um mit dem Philosophen Nancy zu sprechen – dem Christentum noch zutraut, für das »Andere der Welt«, also eine Welt in Gleichheit und Gerechtigkeit, und nicht nur für eine andere, »jenseitige Welt« zu stehen.
*Michael Ramminger ist Theologe und aktiv in der Interventionistischen Linken.
Foto: wikipedia