Rund ein Fünftel der globalen Kohlendioxid-Emissionen stammt aus der Zerstörung von Wäldern. Die Klima-Diplomatie will deshalb finanzielle Anreize für Waldschutz setzen. Wie fragwürdig das Konzept ist, zeigt ein Pilotprogramm in Brasilien
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Rechenspiele mit dem Wald
23/06/2015
por
Jutta Kill

Rund ein Fünftel der globalen Kohlendioxid-Emissionen stammt aus der Zerstörung von Wäldern. Die Klima-Diplomatie will deshalb finanzielle Anreize für Waldschutz setzen. Wie fragwürdig das Konzept ist, zeigt ein Pilotprogramm in Brasilien

regenwald

Von Jutta Kill, Welt-Sichten

Als „Bonus für Frühstarter“ beschreibt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ihr Programm für sogenannte „REDD Early Movers“: Mit mehr als 35 Millionen Euro unterstützt sie Staaten mit tropischen Wäldern, die Emissionen von Klimagasen einsparen, indem sie Waldflächen erhalten. REDD steht für „Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Walddegradierung“ (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation). Das Konzept ist seit der Klimakonferenz der Vereinten Nationen 2007 Teil der internationalen Verhandlungen. Es hat zum Ziel, mit Hilfe finanzieller Anreize den Verlust von Wäldern zu  verringern – genauer gesagt, die durch Waldzerstörung verursachten Treibhausgasemissionen. Wer auf diese Weise Klimagase einspart, soll unter REDD dafür bezahlt werden.

Trotz jahrelanger Verhandlungen bleibt strittig, wie die finanziellen Anreize aussehen sollen. Klar ist: Gezahlt werden soll langfristig nur, wenn ein Land nachweisen kann, dass Emissionen tatsächlich verhindert wurden. Wie dieser Nachweis erbracht werden soll, ist einer der Streitpunkte. Viele Industrieländer fordern, daß für eingesparte Treibhausgase Zertifikate ausgegeben werden. Aber sollen sie lediglich als Nachweis dienen, dass Wald erhalten und eine Emissionsreduktion erbracht wurde, oder soll man sie handeln dürfen? Im ersten Fall ist offen, wie private Investoren in die Finanzierung des Waldschutzes einbezogen werden können. Dass öffentliches Geld allein nicht ausreicht, ist eines der Argumente dafür, den Waldschutz aus handelbaren Emissionszertifikaten zu finanzieren.

Dann aber könnten Geberländer wie Deutschland (oder auch Unternehmen), die  Waldschutzmaßnahmen finanzieren, die Zertifikate dafür ganz oder teilweise auf eigene Pflichten zur Emissionsminderung anrechnen – also zu Hause weniger Klimaschutz betreiben. Einsparungen infolge des Waldschutzes würden unter REDD anderswo zusätzliche Emissionen aus Kohle oder Öl erlauben, die das Klima auf Jahrhunderte beeinflussen. Für wie lange muss dann nachgewiesen werden, dass der Wald erhalten und der Kohlenstoff darin gebunden bleibt? Ist für das Monitoring der Käufer der Zertifikate verantwortlich oder der Verkäufer? Was passiert, wenn der Wald irgendwann doch gerodet wird? Sind Nachweise über solche langen Zeiträume und in die Zukunft hinein möglich?

Während die Debatte über diese Fragen anhält, wurde bereits eine Reihe von multilateralen, bilateralen und freiwilligen Initiativen, die Walderhalt mittels REDD propagieren, ins Leben gerufen. Verfahren etwa für die Zertifizierung werden etabliert. Die Bundesregierung unterstützt zahlreiche Initiativen zur Vorbereitung von REDD finanziell, darunter die dafür bestimmte Kreditlinie der Weltbank (Forest Carbon Partnership Facility) sowie Waldschutzprojekte von nichtstaatlichen Organisationen. Consulting-Firmen beteiligen sich an der Vorbereitung von REDD, indem sie Methoden erarbeiten, wie der Kohlenstoffgehalt in den komplexen Waldökosystemen berechnet werden kann. Oder sie treten als Mittler auf zwischen Projekten, die Emissionszertifikate zum Verkauf anbieten, und Konzernen, die mit solchen Zertifikaten freiwillig einen Teil ihrer Emissionen kompensieren wollen. Auf diese Weise können etwa Energieunternehmen klimaneutrales Erdgas anbieten.

Landschaftliche Schönheit in Zertifikate verpacken

Die KfW verwaltet einen bedeutenden Teil des deutschen Geldes für REDD. Ihr 2011 aufgelegtes Programm für „Frühstarter“ unterstützt unter anderem mit mehr als 19 Millionen Euro den Walderhalt im brasilianischen Bundesstaat Acre. Der erlangte Ende der 1980er Jahre traurige Berühmtheit, als dort der Kautschukzapfer und Gewerkschafter Chico Mendes ermordet wurde. Er trat für die Rechte der Kautschukzapfer ein und wehrte sich gegen die Abholzung zum Nutzen der Vieh- und Holzindustrie. Noch immer breitet sich die Viehzucht in Acre aus und der oft illegale Holzeinschlag geht weiter. Und die Gegner dieser Waldzerstörung werden weiterhin bedroht: Im September 2014 wurde das Büro der Menschenrechtsorganisation CIMI (Conselho Indigenista Missionário) verwüstet, und deren Mitarbeiter erhalten seit längerem anonyme Drohungen.

Dennoch präsentiert sich der Bundesstaat Acre als Pionier der nachhaltigen Waldbewirtschaftung in den Tropen. Seine Regierung treibt experimentierfreudig die ökonomische Bewertung von Natur als vermeintliches Instrument des Naturschutzes voran. Im Jahr 2010 hat sie per Gesetz ein System zur Förderung von Ökosystemdienstleistungen eingeführt. Es sieht vor, für solche Dienstleistungen handelbare Emissionszertifikate zu schaffen und damit einen wirtschaftlichen Anreiz, sie zu erhalten. Zum Beispiel sollen die Wasserfilterfunktion, die Kohlenstoffspeicherfähigkeit, die biologische Vielfalt und die „landschaftliche Schönheit“ von Wald in Zertifikate verpackt und aus deren Verkauf dann Naturschutz finanziert werden.

Das Unterprogramm für die Kohlenstoff-Speicherung namens ISA-Carbono ist am weitesten fortgeschritten. Die KfW unterstützt seit 2012 den Aufbau der dafür notwendigen Institutionen. Zudem zahlt sie im Rahmen von „REDD Early Movers“ eine Vergütung an den Bundesstaat Acre für nachgewiesene Emissionsminderungen, also für nicht zerstörte Waldflächen. Der Wald soll geschützt werden, indem die Regierung von Acre Kleinbauern beim Aufbau alternativer Einkommensmöglichkeiten wie Fischzucht oder mit Vermarktungschancen für Nüsse, Honig und andere Waldprodukte unterstützt. Bewohner von Waldgebieten, die als Sammlerreservate ausgewiesen sind und von Kautschukzapfern und anderen lokalen Gemeinschaften bewirtschaftet werden, erhalten Subventionen für den von ihnen gesammelten Naturkautschuk. Im Gegenzug verpflichten sich die Kleinbauern, keine Feuerrodung zu betreiben, um neue Felder für den Nahrungsmittelanbau zu gewinnen – oder neue Viehweiden.

Denn selbst vom subventionierten Preis für Naturkautschuk können Kautschukzapfer nur noch selten leben. Deshalb gehen sie ganz oder teilweise zur Viehzucht über. Die KfW unterstützt Subventionen dafür, dass eine Fabrik für Kondome den Naturkautschuk zu höheren Preisen abnimmt. Die Fabrik bezieht allerdings über die Jahre immer mehr Kautschuk aus industriellen Plantagen und immer weniger aus den Sammlerreservaten. So gehen auch die Subventionen vermehrt an Betreiber industrieller Kautschukplantagen.

Auf der Basis der vermeintlich verhinderten Waldzerstörung berechnen Acre und die KfW die Emissionseinsparungen. Sie werden mit fünf US-Dollar pro Tonne CO2 vergütet. „Auf Grundlage dieser Kohlenstoffbuchhaltung erhält Acres Landesregierung rückwirkend für vermiedene Entwaldung Mittel aus der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) des Bundesumweltministeriums sowie von anderen Gebern“, schreibt die KfW in einer Broschüre zum Programm in Acre. „So konnten im Dezember 2013 Emissionsreduktionen von insgesamt 2,47 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalent vergütet werden, das entspricht ungefähr dem durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Treibhausgasausstoß von etwa 216.000 Menschen in Deutschland.“ 2,47 Millionen Tonnen CO2  entsprechen etwa einem Zehntel der Treibhausgasemissionen, die Vattenfalls Kohlekraftwerk im brandenburgischen Jänschwalde pro Jahr verursacht, oder ungefähr 0,7 Prozent der jährlichen Emissionen aus den Kraftwerken der RWE in Deutschland.
Die Berechnungen darüber, wieviel Kohlendioxidemissionen der Walderhalt einspart, sind jedoch komplex und die Kohlenstoffbuchhaltung ist nicht nachprüfbar. Sie beruht nicht auf der Messung von im Wald gebundenem Kohlenstoff oder von Kohlendioxidemissionen, die bei Entwaldung freigesetzt werden, sondern auf Schätzungen: Jeder Hektar nicht zerstörter Waldfläche wird in Tonnen CO2 umgerechnet. Das ergibt Werte, die um 50 Prozent nach oben oder unten abweichen – je nach den Annahmen darüber, wieviel Tonnen Vegetation auf einem Hektar Wald wachsen und wieviel Kohlenstoff in dieser Vegetation und dem Waldboden durchschnittlich gespeichert ist.

Zusätzlich wird in einem weiteren Berechnungsschritt das Volumen der vermiedenen Emissionen kalkuliert. Dazu werden die im ersten Schritt ermittelten Emissionseinsparungen verglichen mit den hypothetischen Emissionen aus Waldzerstörung, die ohne die Unterstützung der KfW eingetreten wären. Kohlenstoffbuchhaltung geschieht im Fall von REDD also auf der Basis einer mehr oder weniger plausiblen, aber niemals nachprüfbaren Annahme, was mit dem Wald ohne REDD-Initiative geschehen wäre. Kritiker sehen das als eine der unüberwindbaren Schwächen der Finanzierung von Walderhalt durch Emissionszertifikate.

Die Zertifikate, die die KfW derzeit zum Tauschwert von fünf US-Dollar pro Stück für ihre REDD-Early-Movers-Finanzierung in Acre erhält, haben rein symbolischen Charakter. Weder die Bank noch die Bundesregierung rechnen sich diese Emissionszertifikate als Beitrag zur eigenen Emissionsminderung an, und sie verkaufen die Zertifikate auch nicht weiter. Das mit REDD Early Movers geförderte Modell lässt eine solche Anrechnung der Zertifikate auf eigene Klimaschutz-Plichten oder ihren Verkauf an Dritte in Zukunft jedoch zu. Inwieweit das zulässig sein wird, wird bei den internationalen Klimaverhandlungen noch diskutiert.

Die Pilotförderung in Acre zeigt auch: Waldschutz dort ist der deutschen Regierung gerade fünf US-Dollar pro rechnerisch eingesparter Tonne CO2 wert. Mit dieser geringen Vergütung lassen sich die eigentlichen Treiber von Waldzerstörung nicht verhindern. Schon legal angelegte Plantagen für Soja oder Palmöl in Indonesien oder in den Waldgebieten des Kongobeckens – dies sind weitere Schwerpunkte für REDD-Initiativen – bringen deutlich mehr ein, als mit Waldschutz für fünf US-Dollar pro Tonne CO2 zu erlösen wäre. Waldzerstörung lohnt sich für die Betreiber solcher Plantagen, oft transnationale Konzerne, also weiterhin. Dies gilt umso mehr, als ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Organisation Forest Trends zeigt, dass fast die Hälfte der Waldzerstörung in tropischen Regionen auf illegale Aktivitäten zurückgeht – insbesondere den großflächigen Anbau von Agrarexportgütern. Auch an diesen Ursachen der Waldzerstörung ändert der Handel mit Emissionszertifikaten aus Walderhalt nichts.

Emissionsminderungen auf derselben Waldfläche können zweimal verbucht werden

Stattdessen werden Kleinbauern vertraglich verpflichtet, den Wanderfeldbau aufzugeben. Der ist aber weder eine Hauptursache des Klimawandels noch der Waldzerstörung. Und auch dort, wo Kleinbauern für ihre Viehzucht Wald roden, hilft Unterstützung für alternative Einkommensmöglichkeiten allein nicht – sie schlägt zudem meistens fehl, weil sie ohne Einbeziehung der lokalen Bevölkerung konzipiert wird. Ebenso gehen Subventionszahlungen für Naturkautschuk am Problem vorbei, wenn sie zunehmend den Betreibern von Kautschukplantagen statt den Kautschukzapfern zugute kommen. Beide Ansätze sind darüber hinaus im Fall von Acre nicht in ein Konzept eingebunden, das die Ursachen von großflächiger Waldzerstörung angeht.

Noch schlimmer ist, wenn Wanderfeldbau und Brandrodung kriminalisiert werden, während großflächige illegale Waldzerstörung ungeahndet bleibt. Oder wenn Organisationen, die dies anprangern, bedroht werden und sich nicht auf Schutz oder eine rasche Aufklärung von Gewalt gegen sie verlassen können. Beides trifft auf viele bisheriger REDD-Initiativen zu – ob in Uganda, Indonesien, Madagaskar oder Brasilien.

In Acre kommt hinzu, dass parallel zu den staatlichen Programmen auch private REDD-Projekte stattfinden. Sie rechnen ebenfalls vor, mit Waldschutz Emissionen einzusparen. Ein Beispiel ist das Purus-Projekt, mit dessen Hilfe die FIFA einen Teil der von der Fußball-WM in Brasilien im Sommer 2014 verursachten Emissionen ausgleichen will. Das staatliche SISA-Programm in Acre sieht eigentlich vor, dass alle privaten REDD-Projekte wie Purus sich in ein Kataster eintragen, damit Emissionsminderungen nicht doppelt verbucht werden – etwa wenn ein staatliches und ein privates Programm sich Walderhalt auf derselben Fläche gutschreiben. Das ist in Acre, wo für große Teile des Waldes die Landrechtsfrage ungeklärt ist, leicht vorstellbar.

Doch das Purus-Projekt ist bisher nicht im REDD-Kataster eingetragen und somit auch nicht vom Staat Acre als privates REDD-Projekt anerkannt. Trotzdem hat der Betreiber bereits Zertifikate an die FIFA verkauft. Die nutzt sie, um eine Fußball-WM, die auch bei den Emissionen Rekorde gebrochen hat, als weniger klimaschädigend darzustellen. Das zeigt im Kleinen, wo die Gefahren von REDD liegen: Die Rodung kleiner Flächen für den Nahrungsmittelanbau und die traditionelle Waldnutzung werden als Ursache für Waldzerstörung gebrandmarkt. Am illegalen Holzeinschlag, der großflächigen Rodung für exportorientierte Viehzucht und Landwirtschaft sowie exzessiven Emissionen aus fossilen Brennstoffen wird jedoch nichts geändert.