Die brasilianische Regierung plant neue Staudämme – nun warnt Greenpeace internationale Konzerne davor, bei solchen Megaprojekten mitzumachen.
Von Markus Spörndli, WOZ
Seit Monaten wird Brasilien von einem epischen Korruptionsskandal beherrscht. Es geht um ein komplexes System aus Betrug, Bestechung und Geldwäsche, in dem zwei Milliarden Franken an Schmiergeldzahlungen geflossen sein sollen. Trotz politischer und wirtschaftlicher Krise hält die Regierung an der Illusion fest, Brasilien sei ein wirtschaftlich rasch wachsender «Tigerstaat», dessen zusätzlicher Energiebedarf nur durch den Bau von Megastaudämmen im Amazonasgebiet gedeckt werden könne. Allein im Umfeld des Tapajós – eines der letzten unberührten grossen Zuflüsse des Amazonas – sollen fünf neue Wasserkraftwerke entstehen. Das erste und weitaus grösste, mit einer maximalen Leistung von 8040 Megawatt, ist São Luiz do Tapajós.
Ein Grund dafür, dass sich der Start des Projekts bisher verzögert hat, ist der Korruptionsskandal. Ein weiterer ist die strategisch geschickte Kampagne der von São Luiz hauptsächlich betroffenen indigenen Bevölkerung. Munduruku-Krieger waren an den Xingu-Fluss gereist, wo seit Jahren das Kraftwerk von Belo Monte gebaut wird. Dieses ist mit einer maximalen Leistung von 11000 Megawatt das drittgrösste der Welt. Dort konnten sie sich den bestehenden Protesten anschliessen und auf ihr eigenes Anliegen aufmerksam machen. Und inzwischen hat auch Greenpeace eine Kampagne gestartet. Letzte Woche hat die Umweltorganisation einen Bericht veröffentlicht, in dem wahrscheinliche negative Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Klima detailliert dargelegt werden.
Dabei geht es um weit mehr als nur zusätzliche Energieversorgung, die, wie der Greenpeace-Bericht aufzeigt, locker mit Wind- und Solarprojekten gedeckt werden könnte. «Die Staudämme sind Teil einer Infrastrukturorgie», sagt Verena Glass von der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo. «Über neu entstehende Wasserstrassen und Häfen sollen Soja, Eisenerz und andere Rohstoffe herausgeschafft werden.» Davon profitiere vor allem China, das auch als Grossinvestor auftritt.
Inakzeptable Auswirkungen
Mit der Aktion zielt Greenpeace vor allem auf transnationale Unternehmen. «Sie haben nicht nur mehr Alternativen als einheimische Firmen», so Kampagnenleiterin Tica Minami, «sondern auch striktere soziale und ökologische Kriterien und somit eine Reputation zu verlieren.» Neben der Finanzierung (die zunehmend von chinesischen Banken übernommen wird) kommt der Versicherungsbranche eine Schlüsselrolle zu, um solche Projekte überhaupt zu ermöglichen. Deshalb sucht Greenpeace auch das Gespräch mit den grossen Schweizer Versicherungskonzernen. Man will sie davon überzeugen, sich gar nicht erst für die Aufträge zu bewerben, die seit kurzem ausgeschrieben sind.
Wie empfänglich sind Schweizer Versicherer für solche Argumente? Swiss Re, eines der zwei grössten Rückversicherungsunternehmen der Welt, will zwar nichts von vornherein ausschliessen: «São Luiz do Tapajós werden wir anschauen, falls ein Kunde deswegen auf uns zukommt, was bisher nicht geschehen ist», sagt Andreas Spiegel, Leiter der Abteilung Nachhaltigkeit und politische Risiken. Er stellt aber auch klar: «Im Amazonasgebiet agieren wir sehr zurückhaltend. Am Belo-Monte-Damm haben wir uns nicht beteiligt, weil er inakzeptable Auswirkungen auf das Ökosystem und vor allem auf die indigene Bevölkerung hat.
Kleinliche Ausrede und Versprechen
Anders als Swiss Re ist die Zurich-Versicherung, weltweit der fünftgrösste Erstversicherer, am Belo-Monte-Staudamm beteiligt: «Seit 2011 versichern wir die Konstruktionsarbeiten dieses Projekts», sagt Matia Cazzaniga, globaler Leiter für Bau- und Technikversicherungen. «Als wir uns 2010 für Belo Monte bewarben, hatten wir noch keinen spezifischen Ansatz, der ethische, ökologische oder soziale Risiken zum Beispiel bei Dammprojekten systematisch erfasst.» Damit meint er die Zurich-interne Strategie zur sogenannten unternehmerischen Sozialverantwortung bei Geschäftstransaktionen, die erst 2012 in Kraft trat. «Egal wie wir das Projekt heute beurteilen: Vertraglich sind wir bis zum Abschluss der Konstruktionsarbeiten gebunden.
Das mag eine kleinliche Ausrede für das bisherige Engagement am Amazonas sein – aber auch ein Versprechen, sich in Zukunft zurückzuhalten. Ob dies gerade bei São Luiz do Tapajós geschieht, will Cazzaniga nicht sagen. Nur so viel: «Bei neuen Projekten engagieren wir uns nur, wenn ethische, ökologische und soziale Richtlinien erfüllt werden.
Doch was bringt es überhaupt, wenn einzelne Unternehmen bei problematischen Projekten nicht mitmachen? «Höchstwahrscheinlich springen dann andere ein», sagt Andreas Spiegel von Swiss Re, «denn es gibt zu viele Anbieter im Versicherungsmarkt.» Spielraum gebe es aber innerhalb eines Konsortiums. Solche Zusammenschlüsse entstehen, weil einzelne Versicherungen ein grosses Infrastrukturprojekt nicht alleine stemmen können. «Wir haben schon erlebt, dass sich kleinere Versicherer aufgrund unserer Einschätzung ebenfalls zurückgezogen haben», sagt Spiegel.
Laut brasilianischer Regierung werden die Aufträge nach dem Sommer definitiv vergeben. Tica Minami von Greenpeace glaubt nicht daran: «Wegen des Korruptionsskandals ist die Auktion bereits verschoben worden; nach unserer Kampagne wird sie vielleicht nie stattfinden.»
Fotos: Greenpeace Brasil via flickr, Fernanda Ligabue via flickr