Warum das Referendum in Griechenland politisch notwendig ist. Der Kampf um die Schuldzuweisung hat begonnen.
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Zementierung der Alternativlosigkeit
02/07/2015
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Ulrich Brand und Jens Wissel

Warum das Referendum in Griechenland politisch notwendig ist

grecia

Von Ulrich Brand und Jens Wissel

Der Kampf um die Schuldzuweisung hat begonnen. In der europäischen Presse wird das Bild einer inkompetenten griechischen Regierung ohne Strategie aufgebaut. Der Schwarze Peter liegt demzufolge ausschließlich in Athen.

Doch selbst renommierte Ökonomen argumentieren, dass die aktuelle Krisenpolitik der Troika (den „Institutionen“) keinen wirtschaftlich rationalen Kern hat. Joseph Stiglitz stellte fest, dass die Troikapolitik von Beginn an keine solide ökonomische Grundlage hatte, Paul Krugman spricht von einer „monströsen Torheit“ der EU, die die Schuld für die „destruktive Austeritätspolitik“ trage. Ein Schuldenschnitt wäre ökonomisch geboten und er wäre, darauf weist der prominente Ökonom Barry Eichengreen hin, zu geringen Kosten zu haben gewesen. Schon am 22. Juni hat der Philosoph Jürgen Habermas daran erinnert, dass der ökonomische Aufstieg Deutschlands nur möglich wurde durch das Londoner Abkommen von 1953, in dem Deutschland 50% seiner Schulden erlassen wurden. Doch die Troika behauptet weiterhin, Griechenland müsse seine Kredite bedienen.

Worum geht es also bei der Troikapolitik, wenn nicht um ökonomische Rationalität? Zunächst  um die Kaschierung einer Tatsache: Die Vergesellschaftung von privaten Schulden. Ein wirkliches Rettungspaket für Griechenland hat es nie gegeben. Die Milliardenkredite für Griechenland waren de facto Bankenrettungspakete für die großen westeuropäischen Banken. Deren Kredite wurden bedient, die öffentliche Hand in Europa übernahm Schulden und Haftungen.

Der Grund für die unnachsichtige Haltung der Troika liegt aber tiefer. Es geht um ein politisches Signal. Jedwede politische Alternative zur neoliberalen Sparpolitik muss destruiert werden. Jede Bewegung oder Partei, die auch nur in Nuancen gegen die neoliberalen Dogmen Politik machen will, wird mit aller Härte bekämpft. Das ist die Botschaft. Vor allem an die spanische Bevölkerung, die mit Podemos immer stärker eine Anti-Austeritätspartei unterstützt.

Entgegen der aktuellen öffentlichen Debatte kamen die meisten konstruktiven Vorschläge von der griechischen Regierung. Sie war zu weitreichenden Kompromissen bereit und ist es auch in den letzten Tagen, also nachdem die Verhandlungen für gescheitert erklärt wurden. In dem Vorschlag vom 25. Juni ging es nicht mehr um die zentrale Forderung der griechischen Regierung, nämlich um ein Ende der Austeritätspolitik. Es sollten nur noch die schlimmsten Verwerfungen dieser Politik entschärft werden. So wurde beispielsweise einer teilweisen Erhöhung der Mehrwertsteuer zugestimmt.

Die Troika-Institutionen haben sich demgegenüber konfus verhalten in einer Arbeitsteilung, die einen Kompromiss verunmöglichte. Eurogruppe, IWF, EU-Kommission und EZB waren sich keineswegs einig in den Verhandlungen, was immer wieder zu unvorhersehbaren Wendungen im Verhandlungsprozess geführt hat.

Um was geht es eigentlich? Um eine gesamteuropäische Konstellation, die zu enormer Heterogenität und Entsolidarisierung führt. Im Jahr 2014 betrug der Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands, der ja überhaupt erst die anderen Länder unter Druck setzt, über 7 Prozent und es müssten längst Sanktionen gegen Deutschland verhängt werden. Zwar stellte die Kommission ein Ungleichgewicht der Leistungsbilanz Deutschlands und anderer Überschussländer fest, diese seien aber nicht „übermäßig“. Die strukturellen Probleme der Eurozone, werden nicht angegangen.

Die Europäische Union sieht sich mit enormen Desintegrationstendenzen konfrontiert. Die Anti-EU-Stimmung in Großbritannien ist nur ein Beispiel. Zugleich erleben wir eine dramatische Flüchtlingskrise und eine politische Unfähigkeit der EU, diese anzugehen. Offensichtlich sind sich die Bürokraten der historischen Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst.

Große Teile der  Bevölkerungen in den Mitgliedstaaten, die am härtesten von der Sparpolitik betroffen waren, sind gegen eine Fortführung dieser Politik. Dies zeigt u.a. die Tatsache, dass die sozialdemokratischen Parteien, die die Austeritätspolitik exekutiert haben, jedwedes Vertrauen der Bevölkerung verloren. Nicht nur in Griechenland befindet sich die PASOK im freien Fall, auch in  Spanien löst sich das Zweiparteiensystem auf. Viele der Enttäuschten fordern mit der neugegründeten Partei Podemos und in lokalen Wählerinitiativen echte Demokratie. Auch die österreichische und deutsche Sozialdemokratie formulieren keine Alternativen und werden abgestraft.

Und wir sollten nicht vergessen, dass François Hollande in Frankreich seine Wahl mit einem Programm gegen Fiskalpakt und Sparpolitik gewann. Das Umschwenken auf den deutschen Kurs schwächte seine Partei und förderte den enormen Aufschwung des Front National.

In diesem Sinne ist wichtig, dass Syriza die neoliberalen Politiken nicht übernimmt. Sie sind gewählt worden gegen die Austeritätspolitik und halten Wort. Sie mag politisch ausgebotet werden. Aber sie fragt zu Recht in einem demokratischen Akt die eigene Bevölkerung. Syriza ging an die Schmerzgrenze und war mit heftigen innerparteilichen Konflikten konfrontiert. Aber sie zieht eine rote Linie. Wenn Syriza umkippt, werden viele Menschen politisch wieder in Passivität verfallen und/oder ins politisch rechte Lager driften. Das ist bei aller Hitzigkeit der aktuellen Auseinandersetzungen nicht zu unterschätzen im Hinblick auf die Schaffung von Alternativen.

Die aktuell sich alternativlos gebende Sparpolitik wird euroskeptische und destruktive Kräfte erzeugen, die sich nicht nur gegen die schwächsten Teile der Gesellschaft wenden, wie die Austeritätspolitik, sondern auch Europa als supranationales Projekt beseitigen könnten.

Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik, Jens Wissel, Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.